Jan 262018
 

von Andreas Otte

Unter dem Motto des Titels wird derzeit in Oerlinghausen wieder einmal durchsichtig-undurchsichtige Politik betrieben.

Zur Erinnerung: Die Errichtung eines neuen großen Marktes mit 1.600 m² Verkaufsfläche an der Holter Straße war viele Jahre aufgrund der befürchteten Auswirkungen auf den bestehenden Einzelhandel in Lipperreihe aber gerade auch im Zentrum höchst umstritten. Im Ergebnis kam es nach dem Wechsel im Rathaus als „Kompromiss“ zur Genehmigung des Marktes mit einer Verkaufsfläche von 1.400 m². Aber auch diese 1.400 m² bedeuten bereits eine erhebliche Existenzgefährdung der bestehenden Nahversorgung in Lipperreihe, der man mit der Auflösung des Zentralen Versorgungsbereichs „Lipperreihe“ kurzerhand den Schutzstatus entzog. Gemeint ist natürlich unser mit breiter Unterstützung der Bürgerschaft, vielen Spenden und hohem ehrenamtlichen Engagement betriebener NAHKAUF („Lili-Markt“). Auch der Einspruch gegen den Bau des neuen Marktes von über 2.000 Bürgern der Stadt wurde einfach beiseite gewischt.

Der Versuch, den neuen Markt an der Holter Straße bereits in der Bauphase wieder auf 1.600 m² zu vergrößern, konterkariert die bestehende Rats-Entscheidung und bedeutet nun auch wieder eine Gefährdung für die Versorgung im Zentrum (s.u.) trotz dessen erfolgter Erweiterung. Diese Erweiterung war allein schon wegen der Genehmigung des Marktes für 1.400 m² notwendig geworden.

Das ursprüngliche CIMA Gutachten weist bei 1.600 m² Verkaufsfläche für das Bauvorhaben Holter Straße eine Gefährdung des Zentralen Versorgungsbereichs „Hauptzentrum Oerlinghausen“ aus.

„Eine Gefährdung des Zentrums ist nach Einschätzung der cima nicht auszuschließen, dies gilt insbesondere für den vorhandenen Lebensmittelmarkt JIBI. Diese Aussage bezieht sich auf den bestehenden Markt in seiner heutigen Größe. Mit der geplanten Erweiterung des Lebensmittelmarktes JIBI und der angestrebten kleinräumigen Verlagerung des Drogeriemarktes ROSSMANN, die ebenfalls mit einer Erweiterung verbunden ist, wird das Hauptzentrum an Attraktivität und Anziehungskraft gewinnen. Rechnerisch wird sich der Umsatzverlust bei Nahrungs- und Genussmitteln dem ’10 %-Schwellenwert‘ nähern. Eine Gefährdung des JIBI-Marktes kann aber auch in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden.“ (CIMA1, 28)

Selbst mit der Erweiterung des JIBI-Marktes und der Verlagerung/Erweiterung von ROSSMANN wurde die Gefährdung im Gutachten nicht ausgeschlossen. Hauptsächlich deshalb wurde eine Begrenzung auf 1.400 m² Verkaufsfläche durch die CIMA empfohlen und auch so vom Rat beschlossen. Branchenkenner sagen: ohne die Erweiterung des JIBI-Marktes wäre dieser spätestens in der „neuen Welt“ mit dem REWE-Markt (auch bei nur 1.400 m²) an der Holter Straße nicht auf Dauer überlebensfähig.

Im November 2017 – noch in der Bauphase des Marktes – wurde offenbar eine Gutachterliche Kurzstellungnahme zu einer möglichen Vergrößerung des REWE-Marktes durch die Stadt bei der CIMA angefordert. Im Gegensatz zum vorherigen CIMA Einzelhandelsgutachten von 2015 wird nun plötzlich keinerlei Gefährdung durch eine Erweiterung des Marktes an der Holter Straße mehr festgestellt. Die Gutachterliche Kurzstellungnahme begründet nunmehr die Akzeptanz der Vergrößerung der Fläche auf 1.600 m² mit der erfolgten Erweiterung des JIBI-Marktes (einer Rettungsmaßnahme gegen den neuen REWE-Markt mit 1.400 m²!). Dessen Gefährdung / Schließung wird bei einer REWE-Fläche von 1.600 m² nunmehr im neuen Gutachten nicht mehr gesehen. Der Sinneswandel ist mit den vorgelegten Zahlen und Argumenten jedoch nicht begründbar. Aber auch der Bauherr Herr Güttler begründet den Antrag auf Erweiterung mit neuen Voraussetzungen nach der Erweiterung des JIBI Marktes und dem Umzug des ROSSMANN (NW/LZ).

Wenn sowohl die CIMA ihr eigenes Gutachten von 2015 als auch Herr Güttler selbiges tatsächlich zur Kenntnis genommen hätten, dann wüssten sie, dass die Erweiterung des JIBI-Marktes und der Umzug/Vergrößerung des ROSSMANN darin bereits bei der Gefahrenabschätzung berücksichtigt wurden. In diesem Zusammenhang von neuen Voraussetzungen zu sprechen (NW/LZ), ist also schlicht falsch. Genauso ist es auf dieser Grundlage nicht statthaft, die noch im Bau befindliche Erweiterung im Hauptzentrum als Argument zur Genehmigung der Erweiterung des REWE-Marktes zu nutzen. Mit einer solchen Begründung dürfte dann als nächstes der JIBI-Markt wieder mit einer Vergrößerung nachziehen, dann wieder der REWE, usw.

Auch die Aussage, dass die Erweiterung des Marktes nur der Einrichtung eines Cafés und breiteren Gängen dienen soll (NW/LZ), erscheint fragwürdig. Dann muss nämlich die Frage gestellt werden dürfen, warum überhaupt eine Gutachterliche Kurzstellungnahme der CIMA durch die Stadt angefordert wurde. Die Zielfrage lautete hierbei, wie sich eine Erweiterung der Fläche des REWE-Marktes um 200 m² (NuG-Fläche 130 m² + 70 m² sonstiges Sortiment) auf den Zentrale Versorgungsbereich „Hauptzentrum Oerlinghausen“ auswirken würde. Wenn es wirklich nur um ein Café und breitere Gänge ohne Sortimentsvergrößerung ginge, dann wäre das nicht notwendig gewesen. Das passt nicht zusammen.

Diese neue Gutachterliche Stellungnahme weist zudem Auslassungen, sachliche Fehler und argumentative Schwächen auf. So wird z.B. bei den neuen Umsatzzahlen des JIBI-Marktes nach der Erweiterung der Eindruck erweckt, es handle sich um Ist-Zahlen:

„ist es auch […] zu einem Anstieg des NuG-Umsatzes […] gekommen“ (CIMA2, 7).

Dabei war die Erweiterung des JIBI-Marktes zum Zeitpunkt der Erstellung der Gutachterlichen Kurzstellungnahme noch gar nicht fertiggestellt bzw. in Betrieb. Es handelt sich also definitiv um Plan-Zahlen. Solch ein Vorgehen ist unseriös. Und ob der JIBI-Markt tatsächlich den gutachterlich erwarteten Mehrumsatz erreichen wird und sich damit die erwarteten prozentualen Umsatzverluste entsprechend verringern, ist zumindest erst einmal fraglich. Es muss angemerkt werden, dass eine erhöhte Verkaufsfläche nicht unbedingt automatisch mit einem proportional steigenden realen Umsatz verknüpft ist.

Das REWE-Sortiment und -Einkaufserlebnis in Oerlinghausen und Umgebung wird innerstädtisch durch NAHKAUF Helpup und NAHKAUF Lipperreihe, außerhalb durch REWE Asemissen, REWE Stukenbrock (neu! – ehemals EDEKA) und REWE Hillegossen (neu!) bereits gut abgedeckt. Ein weiterer neuer REWE-Markt wird nach HUFF (CIMA1, 27) nicht die Abflüsse aus dem ausserstädtischen Umland nach Oerlinghausen bewirken, die ursprünglich im CIMA Gutachten angesetzt wurden, weil es sich nicht um ein neuartiges oder abweichendes Sortiment handelt. Innerorts werden die Abflüsse von NAHKAUF zum neuen REWE Markt vermutlich etwas größer sein, weil die REWE in der Region Lippe und Umgebung inzwischen die Preise im Vergleich gesenkt hat, was aber nicht für NAHKAUF gilt. Die unverändert übernommenen Umsatzverteilungszahlen aus dem Gutachten von 2015 für die neue Stellungnahme reflektieren damit nicht die heutige Situation und sind somit auch keine gute Entscheidungsbasis.

Der erwartete katastrophale Umsatzrückgang für den Zentralen Versorgungsbereich Lipperreihe von > 20% aus dem Gutachten von 2015 (CIMA1, 29) versteckt sich in der Gutachterlichen Kurzstellungnahme – durch die Eliminierung desselben – nunmehr unter „übrige Stadt Oerlinghausen“ und geht prozentual in nun 11,5% (immer noch > 10%!) auf. Das ändert aber nichts an dem erwarteten Umsatzrückgang, speziell für den NAHKAUF Lipperreihe. Dieser wird auch weiterhin von Branchenkennern mit mehr als 20% erwartet.

Im Gegensatz hierzu wird man immer öfter, wie auch wieder in der Bauausschusssitzung vom 17.01.2018, aus den Reihen der SPD-Fraktion mit der Behauptung konfrontiert, der neue REWE-Markt und der LiLi-Markt würden sich nicht in einer Konkurrenzsituation befinden, weil die Zielgruppe eine ganz andere sei. Die Zielgruppe für den LiLi-Markt sind Menschen allen Alters aus Lipperreihe und Umgebung, die Dinge des täglichen Bedarfs (Lebensmittel, Hygiene-Artikel, usw.) kaufen und ihren Wocheneinkauf tätigen wollen. Wenn das nicht auch eine Zielgruppe des neuen REWE-Marktes an der Holter Straße sein soll, dann muss man sich fragen, wie und mit wem dann die 6-7 Millionen Euro Umsatz pro Jahr im neuen REWE-Markt erzielt werden können? Als Einzugsgebiet des REWE-Marktes ist ausdrücklich auch Lipperreihe aufgeführt, und zwar komplett mit allen Einwohnern. Auch das CIMA Einzelhandelskonzept von 2015 sieht eine Konkurrenzsituation zwischen dem neuen REWE-Markt und dem LiLi-Markt. Wie also die Vertreter der SPD-Fraktion zu ihrer Einschätzung kommen, muss ein großes Rätsel bleiben.

Man muss auch an das vierte strategische Stadtziel Oerlinghausens erinnern, in dem den Bürgern unter anderem auch die Versorgung als Grunddaseinsfunktion zugesichert wird. Für eine große Landgemeinde, wie Oerlinghausen eine ist, bedeutet das: grundlegende Versorgungsmöglichkeiten im Stadtteil und nicht irgendwo in der Stadt.

Demnächst wird im Hauptausschuss und im Rat über das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit den strategischen Stadtzielen gesprochen werden:

„Die Verwaltung schlägt hierzu vor, zu jedem Stadtziel die bisher geplanten, umgesetzten oder noch in Planung befindlichen Maßnahmen zu protokollieren, künftige Maßnahmen, Zielkorrekturen, neue Ziele oder die Aufgabe von Zielen dem Rat vorzuschlagen und nach der Sommerpause zur Beratung einzubringen.“ (609/X)

So wie derzeit in Oerlinghausen Politik betrieben wird, dürfen wir erwarten, dass dieses doch eher unangenehme vierte Stadtziel demnächst verschwinden wird. Auch der für 2020 angepeilte ausgeglichene Stadthaushalt (Stadtziel Nr. 1) dürfte diesen Vorschlägen recht bald zum Opfer fallen.

Literatur

609/X: Überprüfung und Weiterentwicklung der beschlossenen Stadtziele, Drucksache 609/X
NW/LZ: „REWE will den Markt größer bauen“ vom 19.01.2018
CIMA1: Einzelhandelsgutachten Oerlinghausen, März 2015
CIMA2: Gutachterliche Kurzstellungnahme zur Erweiterung des REWE-Marktes Holter Straße in Oerlinghausen, November 2017

 Veröffentlicht von am 26. Januar 2018