Mrz 052017
 
Holger Abel
Kiefernweg 13
33813 Oerlinghausen
Andreas Otte
Dalbker Straße 54 a
33813 Oerlinghausen
Silke Woineck
Am Brinkhof 29 a
33813 Oerlinghausen

Oerlinghausen, den 25. Februar 2017

An den
Bürgermeister der Stadt Oerlinghausen
Herr Dirk Becker
Rathausplatz 1

33813 Oerlinghausen

Einleitung eines Bürgerbegehrens zur Erlangung eines Bürgerentscheids gemäß § 26 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Becker,

der Rat der Stadt Oerlinghausen hat in seiner Sitzung vom 09. Februar 2017 unter Tagesordnungspunkt 5, Weiterentwicklung des Grundschulverbundes Lipperreihe/Südstadt, den als Tischvorlage gestellten gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD, B90/Die Grünen, FDP und FW sowie dem Antrag der FDP zum Umbau und zur Nutzung des Grundschulstandorts Lipperreihe beschlossen. Die Vorlage der Verwaltung und die Anregung des Vereins Leben in Lipperreihe e.V. wurden hingegen nicht angenommen.

Gegen diese Beschlüsse des Rates zu Tagesordnungspunkt 5 leiten wir hiermit ein Bürgerbegehren zur Erlangung eines Bürgerentscheids gemäß § 26 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) ein.

Eine so wesentliche Entscheidung für die Zukunft unserer Stadt sollte nicht unter Ausschluss der Bürger gefällt werden. Daher ist vor einer Entscheidung des Rates eine umfassende Bürgerbeteiligung durchzuführen, so wie sie in der Vergangenheit für fast alle großen Stadtprojekte ebenfalls stattfand (z.B. Klimaquartier Südstadt, Doppelhaushalt 2015/16, Innenstadtkonzept). In deren Vorbereitung sollten die Bewertungen der Alternativen detailliert inklusive Berechnungen, Erläuterung von Annahmen und Nennung von Quellen auf der Internetseite der Stadt den Oerlinghauser Bürgern zur Verfügung gestellt werden, so wie z.B. der Haushaltsplan auch. Für den Doppelhaushalt 2015/16 hat die Verwaltung eine Reihe von sechs Veranstaltungen zur Bürgerbeteiligung durchgeführt. Eine so wesentliche Weichenstellung wie die Zukunft unserer Grundschulen sollte uns mindestens eine ebenso intensive Bürgerbeteiligung wert sein.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Becker, in der letzten Sitzung des Rates haben die Kämmerin Frau Koring und Sie diverse Bürgerfragen umfassend und sachlich beantwortet. Die Diskussion zu einigen Themenbereichen konnte so versachlicht werden. Ebenso wurden einige entstandene Missverständnisse ausgeräumt. Wir halten dies in Verbindung mit der von uns gewünschten Bürgerbeteiligung für den richtigen Weg, die Grundschuldebatte auf Basis einer sachlichen Diskussion zu einem guten Ergebnis zu führen.

Hingegen halten wir die Entscheidungen des Rates aus folgenden Gründen für erheblich verfrüht und übereilt:

  1. Das zukünftige pädagogische Konzept ist unklar. Wesentliche Fragen der Schulgestaltung wie Integration, Inklusion, Barrierefreiheit oder Förderung von Kindern mit erhöhtem Lernbedarf oder besonderer Begabung sind in der knappen bisherigen Diskussion nur als Stichworte ohne jede inhaltliche Ausführung genannt. Vielmehr soll erst noch eine Planungsgruppe berufen werden, um das pädagogische Konzept zu entwickeln. Das pädagogische Konzept ist jedoch unabdingbar für die Bewertung von Alternativen zur Gestaltung des Grundschulangebots;
  2. Unserer Einschätzung nach legt der Grundlagenerlass des Schulministeriums NRW, 12-63, Nr. 2, hier 4. Einrichtungsverfahren, die Entscheidung über die Einführung einer gebundenen Ganztagsschule in die Verantwortung des Schulträgers unter Zustimmung der Bezirksregierung. Wenn Rat und Verwaltung wie von Ihnen erläutert einen gebundenen Ganztag nicht einführen wollen, sollte dies so beschlossen werden und keine bauliche Anforderung an die zukünftigen Schulstandorte sein;
  3. Ob ein noch zu beschreibendes pädagogisches Konzept einen Neubau verlangt oder nach Umbau bestehender Gebäude ebenfalls erfolgreich realisiert werden kann, ist als Folge der fehlenden Planungen unklar;
  4. Eine glückliche Kindheit spielt sich nicht nur in der Grundschule von 8 bis 16 Uhr ab. Eine glückliche Kindheit und Jugend wird in funktionierenden Stadtteilen mit Sportvereinen, Kirchen, ortsnahen Geschäften, Spielmöglichkeiten und vielem mehr zwischen Geburt und Volljährigkeit erlebt. Dies erfordert eine umfassende Prüfung der Auswirkungen der Grundschulentscheidung auf die betroffenen Stadtteile;
  5. Eltern müssen in Entscheidungen über die Zukunft ihrer Kinder einbezogen werden. Gleiches gilt für die Bürger unserer Stadt. Dies hat bisher fast nicht stattgefunden. Oerlinghausen zeichnet sich durch eine engagierte und kompetente Bürgerschaft aus. Deren Erfahrungen und Kenntnisse sollten bei einer solch wesentlichen Entscheidung einbezogen werden. Eine Entscheidung über die Zukunft der Grundschulen kann unseres Erachtens nur nach umfassender Bürgerbeteiligung erfolgen;
  6. Mit der Neubaudebatte werden Lipperreihe und die Südstadt in eine unnötige Konkurrenzsituation gedrängt. Andere Kommunen in der Nachbarschaft denken Grundschule ganzheitlich. In Oerlinghausen könnte ein Grundschulverbund aller Grundschulstandorte Vorteile z.B. hinsichtlich der Verfügbarkeit von Fachlehrern, leichtere Besetzung von Leitungspositionen oder reduzierte Verwaltungskosten bieten. Ob hieraus Chancen für Oerlinghausen und die Qualität der Grundschulen bestehen, soll aufgrund des Ratsbeschlusses nicht geprüft werden;
  7. Der Rat hat bei seinem Beschluss keinerlei Kostenrahmen genannt, weder für den in der Südstadt geplanten Neubau noch für den einzügigen Weiterbetrieb in Lipperreihe;
  8. Die Kosten für die erforderliche Ausstattung wie Tische, Stühle, Tafeln, Technik oder Küche sind in der gesamten Diskussion ausgeblendet worden;
  9. Gleiches gilt für die notwenigen Veränderungen in der Verkehrsinfrastruktur im Falle des Neubaus in der Südstadt;
  10. Die Verwaltung nennt in ihrer Vorlage 490/X eine Nutzung des Neubaus von 3 bis 4 Jahrzehnten. Bürgermeister und Kämmerin planen eine Abschreibungsdauer von 8 Jahrzehnten. Dieser Widerspruch ist aufzulösen. Eine Abschreibung über 80 Jahre droht erhebliche Haushaltsrisiken für zukünftige Generationen zu schaffen;
  11. In Folge eines Neubaus sind weitere Investitionserfordernisse in Millionenhöhe zu erwarten. Der entsprechende Antrag der SPD-Fraktion vom August letzten Jahres ist bis heute unbearbeitet. Weder ist geklärt, was Politik und Verwaltung beabsichtigen, noch welche Ausgaben hierdurch ausgelöst werden;
  12. Verschiedene Alternativen zu einem Neubau sind mehrfach von Bürgern im Rahmen der Informationsveranstaltung der Verwaltung sowie im Rahmen der Gespräche zur Stadtteilentwicklung des Vereins Leben in Lipperreihe genannt worden. Anwesende Ratsmitglieder diverser Fraktionen haben die Prüfung dieser Alternativen zugesagt. Unseres Wissens ist dies nicht erfolgt. Den Bürgern wurden keinerlei Informationen öffentlich zugänglich gemacht;
  13. Der Rat der Stadt Oerlinghausen hat im November 2016 den Verein Leben in Lipperreihe beauftragt, Stadtentwicklungsgespräche zu führen und ein Stadtteilentwicklungskonzept für Lipperreihe für die nächsten 10 bis 20 Jahre gemeinsam mit Bürgern, Politik, Verwaltung und Vereinen zu entwickeln. Schon in der Auftaktveranstaltung am 12.12.2016 mit weit über 100 Bürgern wurde deutlich, dass alle Beteiligten ein wachsendes Lipperreihe inkl. der Schaffung zusätzlichen Wohnraums und möglichst auch Neubaugebieten wünschen. Das Stadtteilentwicklungskonzept Lipperreihe wird einen wichtigen Einflussfaktor für die Grundschulplanung darstellen, der in die Ratsentscheidung über das Grundschulkonzept Eingang finden soll;
  14. Mit Ausnahme des Programms „Gute Schule 2020“ liegen öffentlich keine Informationen vor, ob weitere Förderungsmöglichkeiten für die Realisierung des Ratsbeschlusses gesichert sind. Das Programm „Gute Schule 2020“ kann für jegliche Maßnahmen im Schulbereich mit den dazugehörigen Sportanlagen genutzt werden und ist daher einem etwaigen Neubau nicht zuzurechnen. Der Ratsbeschluss wird in jedem Fall die Verschuldung Oerlinghausens erheblich erhöhen. Es besteht das Risiko, dass andere dringend benötigte Projekte der Bürgerschaft in den kommenden Jahren nicht mehr finanzierbar sind;
  15. Gute Planung lohnt sich. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen gerade bei Bauprojekten der öffentlichen Hand, die zeigen, dass weitreichende Beschlüsse trotz fehlender Informationen erhebliche Folgekosten nach sich ziehen. Diesen Fehler sollten wir in Oerlinghausen vermeiden.

Daher sollten zu den in der Sitzung genannten fünf Alternativen mindestens die folgenden Aspekte seitens der Verwaltung geprüft und öffentlich dargestellt werden:

  1. Finanzielle Auswirkungen wie z.B. Investitionen, zukünftige, laufende Kosten, Zusatzkosten wie z.B. Verkehrsanbindung/Straßenbau, etwaige Abriss- oder Umbaukosten an betroffenen Standorten, Auswirkungen auf zukünftige Haushalte, Schulden, Tilgung;
  2. Nicht-finanzielle Auswirkungen wie z.B. pädagogisches Konzept, etwaige Pflicht zum Ganztag, Beeinträchtigung des Schulbetriebs während der Umbau-/Neubauphase, Auswirkung auf die Stadtteile, alternative Nutzungsmöglichkeiten, ökologische Konsequenzen („Carbon Footprint“).

Als erste Anregung könnten wir uns die Bürgerbeteiligung wie folgt vorstellen:

  • Auftaktveranstaltung: Sachstandsbericht der Verwaltung, Diskussion mit den Bürgern, Aufnahme von Anregungen, Sammeln von zu prüfenden Alternativen;
  • Folgeveranstaltungen zu Schwerpunktthemen (je eine Veranstaltung je Thema):
    • Pädagogisches Konzept
    • Auswirkungen pädagogisches Konzept auf Gebäudeanforderungen
    • Stadtteilentwicklung mit und ohne Grundschulstandort in Südstadt und Lipperreihe
    • Kosten und Auswirkungen auf Stadtfinanzen
  • Schlussdiskussion mit Empfehlung an den Rat

Die Einbindung externer Gutachter in diesen Prozess sollte ebenfalls geprüft werden.

Auf Basis einer solchen umfassenden Prüfung und breiten Einbindung der Bürgerschaft wird der Rat eine Entscheidung für das beste ganzheitliche Konzept für unsere Kinder und alle Oerlinghauser Bürger treffen können. Die bereits getroffenen Entscheidungen halten wir jedoch für verfrüht und lehnen sie daher ab. Nur gemeinsam können Bürger, Politik und Verwaltung die beste Lösung für die Zukunft unserer schönen Stadt Oerlinghausen finden.

Für das Bürgerbegehren stellen wir die folgende Frage:

Sollen die Ratsbeschlüsse vom 09.02.2017 zum Grundschulverbund Lipperreihe/Südstadt aufgehoben werden (Tischvorlage Alternativvorschlag, Drucksache 484/X)?

Als Begründung des Bürgerbegehrens ist vorgesehen:

Die Beschlussfassung erfolgte verfrüht und übereilt mittels Tischvorlage ohne Beteiligung der Bürger und Fachausschüsse. Es lagen keine Informationen zu den Kosten der Entscheidung vor. Weder gab es eine umfassende Prüfung aller vernünftigen Alternativen noch eine transparente Planungsphase inklusive Kosten-, Konzept- und Standortanalyse mit umfassender, aktiver Bürgerbeteiligung. So darf eine der größten Investitionen der Stadtgeschichte nicht getroffen werden.

Vertretungsberechtigung

Das Bürgerbegehren wird von den Unterzeichnern Holger Abel, Andreas Otte und Silke Woineck vertreten. Die Vertreter werden ermächtigt, Änderungen oder Streichungen an diesem Begehren vorzunehmen, sofern dies für die Zulässigkeit des Begehrens erforderlich erscheint und das Begehren bis zum Beginn der Verschickung der Abstimmungs-benachrichtigungen gemeinschaftlich zurückzunehmen.

Termine und Hemmung der Fristen

Da sich das Bürgerbegehren gegen einen nicht bekanntmachungspflichtigen Beschluss richtet, beträgt die Frist für das Bürgerbegehren drei Monate ab dem Termin der Ratssitzung, d.h. dem 09. Februar 2017. Mit Zugang dieses Schreibens ist diese Frist gehemmt, bis uns die Kostenschätzung der Verwaltung in anzugebender Form vorliegt (vgl. § 26 (2), (3) GO NRW). Die Frist zur Abgabe des Bürgerbegehrens läuft daher bis zum 09. Mai 2017 zzgl. der Periode der Hemmung.

Nächste Schritte

Gemäß § 26 (2) GO NRW bitten wir um Nennung eines Vertreters der Verwaltung, der den Vertretungsberechtigten bei der Einleitung des Bürgerbegehrens behilflich ist. Ferner bitten wir um Nennung eines Ansprechpartners zur Erstellung und Diskussion der Kostenschätzung der Verwaltung.

Bitte teilen Sie uns auch die Anzahl der Bürger der Stadt Oerlinghausen zum letzten relevanten Stichtag mit. Bei der letzten Kommunalwahl (Bürgermeisterwahl) 2015 waren 13.937 Personen wahlberechtigt. Wir gehen daher davon aus, für ein erfolgreiches Bürgerbegehren 9% von 13.937 Bürgern = 1.254 Unterschriften Oerlinghauser Bürger vorlegen zu müssen.

Bitte teilen Sie uns unverzüglich mit, wenn Sie in diesem Schreiben dargestellte rechtliche Auffassungen nicht teilen.

Da ein Bürgerbegehren zwingend eine öffentliche Diskussion in unserer Stadt erfordert, weisen wir darauf hin, dass wir dieses Schreiben oder Auszüge daraus der Öffentlichkeit zugänglich machen werden.

Abschließend möchten wir betonen, dass wir selbstverständlich gerne für konstruktive Gespräche zur Grundschulplanung in Oerlinghausen unter Einbeziehung der Ergebnisse des angestoßenen Prozesses zur Stadtteilentwicklung und der Ziele des Bürgerbegehrens zur Verfügung stehen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Holger Abel Andreas Otte Silke Woineck
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 Veröffentlicht von am 5. März 2017